Nanotechnologie: Im Dialog bleiben - Regularien

Folgeveranstaltung und offener Austausch zwischen Industrie, Behörden und Forschung zu Regularien und Nanotechnologie in Deutschland

Unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven zusammenbringen sowie gemeinsame Strategien für eine sichere und nachhaltige Zukunft mit Raum für Innovationen und Wohlstand entwickeln – das ist das Ziel des „Dialogs Nanotechnologie“. Mit der Folgeveranstaltung am 14. Juli wurde nun das kontroverse Thema „Regularien“ umfangreich aus unterschiedlichen Perspektiven verständlich aufgearbeitet, dargestellt und anschließend gemeinsam diskutiert.

Bereits im Rahmen der Kick-Off Veranstaltung am 19. Mai wurde klar, dass Nano nicht gleich Nano ist, und dass Fragestellungen – je nach Nanomaterial – unterschiedlich gewichtet und beantwortet werden müssen. Aus Sicht der Industrie wird dies im regulatorischen Rahmenwerk der EU jedoch nur eingeschränkt berücksichtigt. Ein Kern-Problem ist dabei häufig die Frage ob ein Produkt als Nanomaterial zu behandeln ist. Obwohl inzwischen offizielle Prüfrichtlinien und Zählmethoden verfügbar sind, können diese für viele Spezialfälle nicht oder nur bedingt angewendet werden. Weiterhin besteht Uneinigkeit insbesondere bei der Diskussion um den Unterschied von Agglomeraten und Aggregaten sowie von Nanomaterialien und nanostrukturierten Materialen. Konsens hingegen besteht darin, dass der Ansatz „Know-your-product“ Grundlage für die gemeinsame Diskussion ist.

Im ersten Beitrag der Onlineveranstaltung Nanomaterialien unter REACH und CLP: Vom Hersteller bis zum Downstream User ging Dr. Claus Haas (BAuA - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) daher zunächst auf die Definition von Nanomaterialien sowie die begriffliche Unterscheidung von Stoff und Form ein. Unter REACH kann dies jedoch mitunter sehr komplex werden, bspw. wenn die Registrierung aller Silberformen in einem gemeinsamen Dossier erfolgt (CAS-Nr. 7440-22-4, EC-Nr. 231-131-3), während für die Registrierung von MWCNTs verschiedenen Stoff-IDs vergeben werden. In seinem weiteren Vortrag ging Dr. Haas auf die Unterscheidung von Nanomaterialien in der Herstellung und in der Produktion sowie auf die Pflichten für nachgeschaltete Anwender ein: auch wenn durch das Vermahlen eines Material kein neuer Stoff hergestellt wird, gelten auch für Verarbeitende entsprechende Pflichten (u.a. Sicherheitsdatenblätter). Dr. Haas erkennt dabei sehr wohl die Schwierigkeiten, denen Unternehmen bei der Zulassung von Nanomaterialien begegnen und steht über den Helpdesk reach-clp-biozid unterstützend zur Verfügung.

Im zweiten Beitrag schilderte Dr. Klaus Peter Stefan (Ehemals 3M, Experte in den Verbänden VDDI und BAH) die praktische Regulation von Nanotechnologien am Beispiel der Medizinprodukte und ging dabei detailliert auf die historische Entwicklung im Umgang mit Nanomaterialien ein­. Während Nanomaterialien in Medizinprodukten zu Beginn als pauschal gefährlich und in die Risikoklasse III eingestuft wurden, konnte dies durch seine aktive Zusammenarbeit in Gremien relativiert werden. Nun wird auch der großen Anzahl verschiedenster Medizinprodukte (bspw. Pflaster, Spritzen, dentale Füllungsmaterialien, Hüftimplantate …) sowie deren unterschiedliches Risiko für Patienten, Anwender und Dritte Rechnung getragen. Dabei ist insbesondere die Verfügbarkeit bzw. die Exposition von Nanomaterialien ein zentraler Diskussionspunkt und so sollten in der Risikobetrachtung bspw. auch die mögliche Gesamtmenge freisetzbarer Nanopartikel sowie die teils extrem kurzen Kontaktzeiten berücksichtigt werden.

Dr. Hubert Rauscher (European Commission - Joint Research Centre) ging anschließend auf die Identifizierung und Charakterisierung von Nanomaterialien ein. Dabei stellte er neben der aktualisierten Empfehlung zur Definition von Nanomaterialien auch die neue, im Juni veröffentlichte OECD-Prüfrichtlinie zur Bestimmung der Partikelgröße von Nanomaterialien vor. Fokus der weiteren Arbeit der Kommission liegt nun auf der Harmonisierung der unterschiedlichen Richtlinien (bspw. der MDR). Aufgrund der quantitativen Grenzen der Nano-Definition gibt es natürlich auch stets Grenzfälle. Wie auch Dr. Haas bestätigt, kommen diese in der Praxis häufiger vor als man es vielleicht vermutet mag. Die festgelegte Grenze von 100 nm aber auch die unterschiedlichen Geometrien und Formen sorgen dabei für viel Unsicherheit bei der Zulassung neuer Materialien. Gute Daten und transparente Dossiers sieht Dr. Rauscher daher als wichtigste Grundlage für gemeinsame Diskussionen und Einschätzungen.            

In Ihrem Vortrag Regulierung von Nanomaterialien im Rahmen von REACH lieferte Dr. Simone Wagner (Yordas Group) demgegenüber einen Überblick über die Abläufe und Erfahrungen aus der Praxis. Zu den allgemeinen Herausforderungen für Registranten zählt Sie u.a. die nicht-triviale Charakterisierung von Partikeln sowie die geringe Verfügbarkeit von Laboren für Toxizitäts- und Ökotoxizitätsstudien. Ihrer Erfahrung nach befassen sich Unternehmen bislang nicht eingehend genug mit der Frage, ob deren Produkt (bspw. ein Pulver) ggf. in einer Nanoform vorliegt. Zu den größten Herausforderungen zählt sie, trotz der verbesserten Analyseverfahren, die nach wie vor unklare Partikelcharakterisierung (Kaum standardisierte Prüfmethoden, Probevorbereitung kritisch, …).

Im abschließenden Vortrag Die bunte Welt der Nanomaterialien – Konsequenzen der nanospezifischen Regulierungen für Pigmente und Füllstoffe griff Dr. Giuliana Beck (Verband der Mineralfarbenindustrie e. V.) nochmals einen wesentlichen Punkt der Diskussion um die Nanotechnologie auf: Nanomaterialien werden bereits seit Jahrtausenden von Mensch und Natur eingesetzt, und durch die Einführung des (Marketing-)Begriffs Nano werden diese nicht automatisch gefährlich. Dies spiegelt sich jedoch nicht im allgemeinen Umgang mit der Thematik wieder. Der Nano-Euphorie in den 2000-ern folgte ab 2010 (u.a. auf Druck verschiedener Verbände) eine zunehmend kritische und tendenziell ablehnende Haltung gegenüber der Nanotechnologie. Obwohl in den meisten offiziellen Dokumenten zwar stets betont wird, dass Nano nicht per se gefährlich bedeutet, werden für Nanomaterialien spezielle und pauschalisierte Regeln in Kraft gesetzt, die genau diesen Eindruck erwecken können. Dies stellt für die Industrie teils extreme Hürden dar, die nur schwer zu meistern sind.

In der anschließenden gemeinsamen Diskussion wurde dies dann auch umfangreich von den verschiedenen Stakeholdern diskutiert. Im weiteren Fokus der Diskussion stand u.a. die Charakterisierung von Nanomaterialien und deren entsprechenden gesetzlichen Einstufung. Unklar und problematisch bleibt bspw. inwiefern weiterverarbeitete Materialien, die sich in ihrer Größe und Ihren Eigenschaften ändern (bspw. Oberflächenfunktionalisierung durch Oxidation) erneut geprüft oder zugelassen werden müssen. Die Thematik bleibt somit nicht nur für Nanomaterialhersteller, sondern auch für Verarbeiter hoch relevant.

Ergebnis des Dialogs: nur im kooperativen und konstanten Austausch über Jahre (bspw. durch die Mitarbeit in Gremien, Kooperationsprojekten, Netzwerken, …), können zielführende Regularien entwickelt werden, die sowohl Sicherheit als auch Innovationen ermöglichen. Auf diese Weise wurden die initialen Regularien und Definitionen über die letzten Jahre überarbeitet und neu definiert, um zu verhindern, dass viele Produkte wie bspw. Rollstühle nicht als gefährliche Medizinprodukte eingestuft werden. (Hinweis: Sie möchten wissen was Rollstühle mit Nano zu tun haben? Sprechen Sie uns an und erfahren Sie mehr!)

Folgetermine:

Das Forum wird vom Cluster Nanotechnologie gemeinsam mit der Norddeutschen Initiative Nanotechnologie e.V. und dem Leibniz-Forschungsverbund Advanced Materials Safety und unter der Schirmherrschaft des Fördervereins Nano in Germany e.V. organisiert. Das Forum richtet sich gleichermaßen an Industrie, Behörden sowie Forschung und Entwicklung und soll den gemeinsamen und zieloffenen Diskurs zu aktuellen Themen und gegenwärtigen Entwicklungen aus der Nanotechnologie fördern. Das Forum baut auf den langjährigen Arbeiten des, vom BMUV initiierten NanoDialogs auf und soll den diesbezüglichen Runden-Tisch-Gedanken langfristig aufgreifen.

Kontakt: Dr. Justus Hermannsdörfer

In Kürze:

Nächste Termin:
22. September 2022 (Online, ZOOM)

Thema:
Sicherheit mit Nanomaterialien

Organisation

Die Veranstaltung findet unter der Schirmherrschaft des Nano in Germany e.V.

Folgeveranstaltungen

14. Juli 2022 - Regularien (Klicken für nähere Informationen)

Von REACH über Kosmetik bis hin zu Biozidprodukten – Wie hat sich die Regulation von Nanomaterialien in den letzten 10 Jahren entwickelt und was müssen Nanotechnologie-Unternehmen heute beachten, um erfolgreich und verantwortungsvoll sichere Produkte für Kunden und Verbraucher anzubieten.

Nanotechnologische Entwicklungen haben den Markt in den letzten 10 Jahre revolutioniert und vielseitige neue Produkte hervorgebracht. Wie bei jeder neuen Technologie steht dabei die Sicherheit von Verbraucher_innen an erster Stelle, so dass die Zulassung entsprechender Produkte rechtliche Rahmenbedingungen und regulatorische Maßnahmen erfordert. Einheitliche Regeln für Nanomaterialien auf europäischer Ebene sollen hierbei für mehr Struktur sorgen, führen in der Praxis aber nicht selten zu Unklarheiten und demzufolge hohen Hürden bei der Produktentwicklung.

Um sowohl Sicherheit als auch technischen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen, ist ein Dialog zwischen der technischen Entwicklung und der gesetzgebenden Instanz maßgeblich entscheidend. Die Veranstaltung bietet Impulse zum aktuellen Stand und gesetzlichem Rahmen für die Zulassung von Nanomaterialien in der EU.

September 2022 - Sicherheit (Klicken für nähere Informationen)

Was Nanotechnologie-Unternehmen beachten müssen, um erfolgreich und verantwortungsvoll sichere Produkte für Kunden und Verbraucher anzubieten.

Nanotechnologische Produkte erobern zunehmend den Markt. Aspekte der Nanosicherheit sind daher von steigender Bedeutung für den Arbeitsalltag. Die Thematik hat eine hohe Relevanz für die betriebliche Arbeitsschutz-Praxis in zahlreichen Branchen, während gleichzeitig auf wissenschaftlicher und politischer Ebene Fragen zum Umgang mit Nanomaterialien diskutiert werden.

Die Veranstaltung bietet Impulse zum aktuellen Stand und gesetzlichem Rahmen für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis beim Umgang mit Nanomaterialien. Die ExpertInnen freuen sich auf einen offenen Austausch mit dem Publikum.

November 2022 - Recyclinggerechtes Design / Safe-by-Design (Klicken für nähere Informationen)

Für Verbraucherakzeptanz und Einhaltung regulatorischer Auflagen müssen neue Produkte nicht nur innovative Lösungen bieten, sondern auch sicher und nachhaltig sein. Dabei ist es für die Innovatoren vorteilhaft, die Sicherheits- und Nachhaltigkeitsaspekte neuer Produkte von Beginn des Entwicklungsprozesses an zu berücksichtigen. Oft erfolgen Überlegungen erst zu spät, wenn schon viel Geld in die Entwicklung geflossen ist. Wichtig ist es auch, den gesamten Lebenszyklus der Produkte im Blick zu haben. Vor allem beim Recycling von Nanoprodukten stoßen wir auf große Herausforderungen.

Dezember 2022 - Fortgeschrittene und datenintensive Methoden

Coming 2023

Upscaling, Kommunikationsmanagement, …