Kleinste Teilchen wachsen zusammen. Geht das im Weltraum schneller?

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Funktionieren Kleber im Weltraum? Allgemeiner gefragt: Ändern sich die Eigenschaften von Materialien, wenn sie sich in Schwerelosigkeit aus flüssigen Vorstufen bilden?

Forschende des INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken haben untersucht, wie sich die Agglomeration von Nanopartikeln ohne Schwerkraft verändert und überraschende Unterschiede in der Zeitschrift Small publiziert.

Beim Kleben und bei vielen anderen Materialsynthesen klumpen kleine Bestandteile zu Materialien zusammen, sie agglomerieren. Ein Team um INM-Wissenschaftler Professor Tobias Kraus hat untersucht, ob sich die Agglomeration von kleinen Materialbestandteilen im Weltraum ändert. Die Forschenden ließen Nanopartikel bei normaler Schwerkraft und in der Schwerelosigkeit eines Fallturms agglomerieren. Der Unterschied war deutlich: In Schwerelosigkeit bilden die Partikel schneller größere Klumpen. Das könnte auch bedeuten, dass sich die Eigenschaften von Materialien verändern, wenn diese im Weltraum hergestellt werden.

In der 110 Meter langen Röhre des Fallturms standen dem INM-Team nur wenige Sekunden Schwerelosigkeit für ihre Experimente zur Verfügung – zu kurz, um genau zu untersuchen, warum die Partikel sich so anders verhalten. Bald folgen längere Experimente: Diesmal transportiert eine Rakete des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) den Versuchsaufbau in eine Höhe von über 250 km. Bei der Rückkehr zur Erde befinden sich die zu untersuchenden Materialien für circa sechs Minuten im freien Fall. Die Partikel haben somit länger Zeit zu agglomerieren und die Forscher können genauer dabei zusehen.

Bibliografische Daten:
Pyttlik, A., Kuttich, B., Kraus, T., Microgravity Removes Reaction Limits from Nonpolar Nanoparticle Agglomeration. Small 2022, 204621.
https://doi.org/10.1002/smll.202204621

Hier geht es zur Meldung des INM

Am 21. Oktober 2022 um 9:25 Uhr startete die Forschungsrakete MAPHEUS-12 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) von der schwedischen Raketenbasis ESRANGE nahe Kiruna. Sie erreichte eine Höhe von 260 Kilometern und segelte dann an einem Fallschirm zurück zur Erde. Mit an Bord waren Gold-Nanopartikel aus dem INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken. In einem speziellen Versuchsaufbau wurde an ihnen untersucht, wie sich Partikel zusammenballen, wenn keine Schwerkraft auf sie wirkt.

Seit mehr als fünf Jahren untersucht ein INM-Forscherteam um Prof. Tobias Kraus in einem 110 Meter hohen Fallturm die Agglomeration kleinster Feststoffpartikel in Schwerelosigkeit. Während der neun Sekunden, in denen im Fallturm keine Gravitation auf die Partikel einwirkte, verhielten sie sich deutlich anders als auf dem Erdboden: In Schwerelosigkeit verbanden sich die Teilchen wesentlich schneller in Überstrukturen. Die Wissenschaftler fragten sich: Woher kommt diese schnellere Reaktion? Ändern sich die Eigenschaften von Materialien, wenn diese ohne Erdanziehung aus Partikeln hergestellt werden?

Diese Fragen waren Ausgangspunkt für das Experiment SOMEX/ARNIM-II, das als Teil der Nutzlast an Bord der DLR-Forschungsrakete in den nahen Weltraum befördert wurde und nach einem 15-minütigen Flug sanft per Fallschirm in der nordschwedischen Tundra wieder landete. Während die Zero-G-Phase im Fallturmexperiment gerade mal mehrere Sekunden betrug, befand sich der Versuchsaufbau im freien Fall aus 260 Kilometern für sechs Minuten in Schwerelosigkeit. „Dass wir das Agglomerationsverhalten der Partikel über einen so langen Zeitraum beobachten konnten, bringt uns ein gutes Stück weiter. Je mehr Daten uns zur Verfügung stehen, desto besser können wir unsere Vermutungen prüfen“, sagt Prof. Tobias Kraus. „Es wird einige Monate dauern, bis alle Daten ausgewertet sind. Wir hoffen, bessere Modelle für die Agglomeration zu schaffen und sie für neue Materialien nutzen zu können, beispielsweise für die Elektronik.“

Rückfragen an den Experten am INM:
Prof. Dr. Tobias Kraus, Leiter des Programmbereichs Strukturbildung
Tel.: +49 681 9300 389
E-Mail: tobias.kraus@leibniz-inm.de

Über MAPHEUS
Das MAPHEUS-Höhenforschungsprogramm (Materialphysikalische Experimente unter Schwerelosigkeit) wird bereits seit 14 Jahren durchgeführt. Der jährliche Flug, vorbereitet und durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis (MORABA) der DLR Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining, ermöglicht den Wissenschaftlern einen unabhängigen und regelmäßigen Zugang zu Experimenten in Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand. Experimentschwerpunkte sind der Einfluss der Schwerelosigkeit auf biologische Systeme sowie Untersuchungen materialphysikalischer Prozesse mit Hilfe von Mikrogravitationsbedingungen.

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